09. JANUAR 2021, 12–17 UHR (DURING SHOP OPENING TIMES)
OOR SALOON @ OOR RECORDS PRESENTS:
«Live Show»
Ian Wooldridge & Li Tavor
Artist Record Release & Live Performance Streaming
12–17 Uhr (Während der Ladenöffnungszeit)
OOR Saloon/OOR Records
Anwandstrasse 30
8004 Zürich
Covid Info: Die Release findet zu den gewöhnlichen Samstags-Öffnungszeiten, von 12-17 Uhr, im OOR Records statt. Die Live-Performance wird per Videoübertragung im OOR gezeigt, die Platte kann währenddessen erworben werden. Es dürfen sich jeweils nicht mehr als drei Personen im OOR gleichzeitig aufhalten. Einlass nur mit Maske. Wer sich kränklich fühlt bleibt bitte zuhause.
Die Live-Performance kann von 12-17 Uhr unter folgendem Link zuhause gestreamt werden:
www.the-sound-of-men-on-cam.com
The release will take place during the usual Saturday opening hours, from 12-5pm at OOR Records. The live performance will be shown via video broadcast at OOR, and the record will be available in the shop. Bring your mask or please stay at home if you feel sick. Only 3 people at once in the shop.
The live performance can be streamed at home at the following link:
www.the-sound-of-men-on-cam.com
Live Show – Ian Wooldridge & Li Tavor
(English Version below)
«Live Show: The sound of men on cam», ist ein Vinyl-Schallplatten und Live-Performance Projekt, das sich thematisch mit Gender (zeitgenössische Männlichkeiten), Sex, der sozialen und politischen Geschichte der schwulen Club-Kultur und was es bedeutet, Dinge «live» zu erfahren beschäftigt.
Die Künstler_innen-Schallplatte besteht aus 22 Tracks mit Audio-Fieldrecordings von Live-Übertragungen von Männern* auf Webcams «Sexcams». Erotisch und verletzlich zugleich offenbart «the sound of men on cam» eine akustische Fragilität durch Praktiken der Männlichkeit und des Begehrens. Die Spuren fungieren als Porträts zeitgenössischer Männlichkeiten im digitalen Fluss, die das Alltägliche verhandeln und das akustische Bild der Körper in diesen privaten Räumen einfangen. Durch charakteristische Eigenschaften der Räume am Ort der Übertragung enthüllt das Klangmaterial Kodierungen der Häuslichkeit. Fernsehprogramme und Hintergrundmusik mischen sich mit den digitalen Klängen der Sex-Cam-Plattformen und dessen Techniken: Vibrationen von Sexspielzeug, Nachrichten- und Tipp-Signale, Tastaturgeräusche und die Stimme des Camers. Einige Tracks enthalten direkte sexuelle Inhalte, andere nicht.
Bei allen Tracks handelt es sich um kurze Segmentaufnahmen von lang andauernden Übertragungen, bei denen der Camer oft stundenlang alleine in der Privatsphäre der Wohnung oder eines gemieteten Studios (behütetes, sicheres Umfeld) auf Bestätigung seitens user wartet, um dies dann live zu übertragen (online, sichtbar für alle). Diese Räume besitzen eine semi-permeable Membran. Gefühle der Sicherheit und des exponiert seins des Camers suggerierend, waltet das Private und das Öffentliche in ihnen gleichermassen. Und selbst wenn die Tracks visuell anonymisiert und nicht zurückverfolgt werden können, gewähren uns die akustischen Informationen Zugang zu den Räumlichkeiten.
Die Spuren/Porträts sind flüchtig in dem, was sie verkörpern, und die klangliche Ästhetik ist durch diese Verkörperung vergänglich. Zusammen bilden die Tracks Konturen eines queeren Archivs von Männern* auf (Web) Cams.
Eine der kompositorischen Entscheidungen von Wooldridge & Tavor war es, keine Anpassungen oder weitere Bearbeitung an den Aufnahmen vorzunehmen und das Material so zu belassen, wie es die Aufnahmen vorgegeben haben. Die auf 12-Zoll-Vinyl gepressten Aufnahmen manifestieren die flüchtige, qualitativ schlechte digitale Aufnahmetechnik, die im analogen Raum verwendet wurde. Der Prozess des Pressens dieser «schlechten», meist eher unbemerkten akustischen Bilder auf Vinyl transformiert die Materialität dieser Räume von Grund zu Figur, von Hintergrund zu Vordergrund. Doch diese räumliche Transformation anonymisiert diese neuen Figuren auf seltsame Weise.
Der Release der Schallplatte reflektiert den alltäglich häuslichen, fragilen und doch öffentlichen Charakter des Materials. Der Probeprozess für eine ursprünglich geplante musikalische Performance von Wooldridge und Tavor wird live aus einem privaten Studio gestreamt (Video und Audio). Der unfertige, fehlerhafte und flüchtige Charakter der Probe wird zur Schau gestellt und unterstreicht die eigene Verletzlichkeit der Performer_innen. Der Stream wird an eine öffentlich bekannt gegebene Adresse und gleichzeitig (unangekündigt) an die Live-Cam-Plattform gesendet, also genau an den Ort, von dem aus das Material ursprünglich aufgenommen wurde. Indem sie sich gleichermaßen exponieren und die "Live Show" mit dem ursprünglich von den Camern produziertem Klangmaterial proben, verzerren oder verwischen Wooldridge und Tavor traditionelle Subjekt/Objekt-Beziehungen.
In den ursprünglich geplanten Live-Performances entsteht die Musik durch das Mischen und Sampeln von Tracks der Vinyl-Edition auf Plattenspielern im gemeinsamen Spiel mit einem modularen Synthesizer. Dieser reagiert auf die Aufnahmen, indem er den Inhalt der Platte mit grundlegenden, sich wiederholenden musikalischen Strukturen erweitert, die mit der Geschichte der schwulen Clubkultur spielen, mit Referenzen an Produzenten-DJs wie Arthur Russell der Mitte der 70er Jahre maßgeblich an der New Yorker Disco-Szene beteiligt war, und Terre Thaemlitz (aka DJ Sprinkles), die in den 90er Jahren politischen Ambient- und Deep-House produzierte.
Innerhalb der Mischtechniken dieser beiden Klangquellen liegt der Fokus auf dem Improvisationscharakter, der auf die sozialen und politischen Aspekte in der schwulen Clubkultur, die Dringlichkeit und Intention der oft improvisierten, prekären, gemeinsam genutzten Räume und die darin frei gelebte Erotik verweist.
«Live show» ist eine Dekonstruktion dessen, was «live» ist oder sich wie «live» anfühlt und der psychodynamischen Mechanik der «Live-Erfahrung». Die Flüchtigkeit / Zeitlichkeit von «live» wird durch Eigenschaften der Schallplatte in Frage gestellt; inhärent, aber längst vergangen, sowohl auf den anfänglichen Aufnahmen auf den Audiospuren der Platte als auch später während den Performances. In der Musiktheorie wird DJing, das Abspielen und Abmischen von Schallplatten, klassischerweise nicht als «live» erlebt, während ein modularer Synthesizer als ein Instrument betrachtet wird, das live gespielt wird. Die Schallplatte, die fixiert ist (Non-Live-Live-Aufnahmen) und der modulare Synthesizer, der genau in diesem Moment analoge Klänge produziert (Hyper-Live). Die zuvor live auf der Schallplatte gemachten Aufnahmen durchlaufen ein neues Instrument (den Plattenspieler) und treten so in den Raum der Gegenwart zurück. Dieser Eingriff hat einen grundlegenden Einfluss auf die Klangästhetik und die Fähigkeit, das Publikum (durch Wiederholung und Variation) in eine gemeinsame Gegenwart eintauchen zu lassen. Das Gefühl von «live» (dem realen Jetzt) und Replik (seinem reproduzierten Selbst) ist in der schwulen Clubkultur in der Verschiebung der Selbstprojektion, die unter den oft improvisierten Bedingungen des queeren Raums erlaubt ist, um das eigene Selbstgefühl zu erhöhen (sich im Moment lebendig zu fühlen) allgegenwärtig.
Li Tavor ist Architektin, Absolventin der ETH Zürich, und eine Musikerin und Komponistin. Momentan studiert sie elektroakustische Komposition (MA) an der ZHdK in Zürich. Ihre Arbeit als Musikerin umfasst Komposition, Performance und Installation. Derzeit arbeitet sie als Dozentin für den BA in Fine Arts an der ZHdK Zürich.
Auf der Suche nach «inoffiziellen» Formen der Repräsentation entwickelt Tavor eine räumliche Sensibilität, um ungesehene und ungehörte Aspekte unserer gebauten Umwelt zu entdecken, herauszufordern und sich neu vorzustellen. So hinterfragt sie oft gesellschaftliche Auswirkungen von Normativität und versucht so, einbeschriebene Dichotomien der konstruierten Welt offenzulegen.
Ian Wooldridge ist ein in Zürich lebender Künstler und Autor. Er hat einen Hintergrund in Film- und Medienwissenschaften und befindet sich in der Endphase seiner Doktorarbeit: Queer Space, Video Space, Hermetic Space: States of Self Unhinged. Analogue video during the AIDS epidemic, unter der Leitung von Professor Ute Holl, Medienwissenschaft, Universität Basel. Seine Praxis beschäftigt sich mit Häuslichkeit, Reduktion, Ästhetik der Nostalgie, Mustern, Signifikanten und Codes. Diskurse der Semiotik in Queer-Theorie, Poesie und radikaler Queer-Politik sind in seiner Kunstpraxis, seiner professionellen akademischen Arbeit und seinem Schreiben präsent.
Seine Arbeiten und Performances wurden an folgenden Orten gezeigt: ICA (London); Fri Art (Fribourg) Nuit Blanche (Paris Arts Lab 2019); The Cruising Pavilion (Venice Architecture Biennale 2018); LUX (London); Folkwang (Essen) und Istituto Svizzero, (Rom). Geschrieben hat er für Artforum (usa), Frieze (uk), Mousse (it), Brand New Life (ch), Arcadia Missa (uk), Pilot Press (uk) und Le Temps (ch).
Live Show – Ian Wooldridge & Li Tavor
Live Show: the sound of men on cam, is a vinyl record and live performance project that thematically deals with gender (contemporary masculinities), sex, the social and political history of gay club culture and what it means to experience things «live».
The record consists of 22 tracks with audio field recordings, made during live broadcasts of men on cam, from sex cam sites. «the sound of men on cam» imbues a sonic fragility through the practices of masculinity and desire, erotic yet vulnerable. The tracks function as portraits of contemporary masculinities in the digital flow, negotiating the everyday, capturing the acoustic image of the body in domestic space. Coded domesticities unveil sonically through the spatial conditions of the broadcasts with background sounds from television programs and music mixing with the given sonics of the sex cam platforms and tech: sex toy vibrations; message and tip alerts; the tapping of the keyboard and the camer’s voice. Some tracks contain direct sexual content while others do not. All tracks are short segments of long duration broadcasts, with the camer often hours alone awaiting validation within the safety of a private home or rented space (a sealed condition) then broadcast live (online for all to see). These spaces inhabit a semi-permeable membrane, where privacy and publicity share a common ground, suggesting both safety and exposure for the camer. And even though the tracks become visually anonymous and untraceable, the acoustic information within them gives us certain access to these spatialities. The tracks/ portraits are volatile in what they embody and the sonic aesthetic is transient due to the embodiment. Together the tracks create a gesture of a queer archive of men on cam.
One of Wooldridge & Tavor's compositional decisions was not to make any adjustments or further processing to the recordings and to leave the material as the recordings specified. The recordings, pressed on 12-inch vinyl, manifest the fleeting, poor quality digital recording technology used in the analog room. The process of pressing these «poor», usually rather unnoticed acoustic images onto vinyl, shifts the materialities of these spaces from ground to figure, form background to foreground. Yet, this spatial displacement strangely anonymizes these new figures.
The release of the record reflects on the everyday domestic, fragile, yet public character of the material. A rehearsal of a musical performance by Wooldridge and Tavor will be live streamed from a private studio (video and audio). The unfinished, faulty and ephemeral character of the rehearsal is put on display and emphasizes on the performers own vulnerability. The stream will be sent to a publicly announced address and at the same time (unannounced) to the live cam platform, the very place where the material was originally recorded from. By equally exposing themselves, rehearsing the «Live Show» with sonic material originally displayed by the camers, Wooldridge and Tavor distort or blurr traditional subject/ object relations.
In the live performances, the music is created by mixing and sampling tracks from the vinyl edition using turntables and a modular synthesizer. The modular synthesizer responds to the recordings by expanding the content of the record with basic, repetitive musical structures that play with the history of gay club culture, with references to producer DJs such as Arthur Russell who was an instrumental part of New York City’s disco scene in the mid 70’s and Terre Thaemlitz (aka DJ Sprinkles) evolution of ambient and deep house music in the 90’s. Within the techniques of mixing these two sound sources, the focus is on the improvisational character, which refers to the social and political aspects in gay club culture, the urgency and intention of the often improvised, precarious, shared rooms and the freely lived eroticism in them.
«Live show» is a deconstruction of what is «live» or feels like «live» and the psychodynamic mechanics of «live experience». The volatility / temporality of «live» is questioned through the manifestation of the record, is inherent but long gone, both in the first recordings on the audio tracks on the record and later in the performances. In music theory, DJing, playing and mixing records, is classically not experienced as «live», while a modular synthesizer is viewed as an instrument that is played live. The record that is fixed (non-live live recordings) and the modular synthesizer that produces analogue sound right at that moment (hyper-live). The recordings previously made live on the record pass through a new instrument (the record player) and thus step back into the space of the present. This intervention has a profound influence on the sound aesthetics and the ability to immerse the audience (through repetition and variation) in a shared present. The feeling of «live» (the real now) and replica (its reproduced self) are ever present in gay club culture in the shift of self-projection that is permitted under the often improvised conditions of queer space to elevate one's sense of self (feeling oneself live in the moment).
Li Tavor is an architect, graduated from ETH Zurich, and a musician and composer currently studying electroacoustic composition (MA) at ZHdK in Zurich. Her work as a musician comprises composition, performance and installation. She currently works as a lecturer for the BA in Fine Arts at ZHdK Zürich. In search of «unofficial» forms of representation, Tavor develops a spatial sensitivity to discover, challenge, and reimagine unseen and unheard aspects of our built environment. Thus, she often questions consequences of normativity and tries to uncover traditional dichotomies of the constructed world.
Ian Wooldridge is an artist and writer based in Zurich. Wooldridge has a background in Film and Media studies and is in the final stages of a PhD: Queer Space, Video Space, Hermetic Space: States of Self Unhinged. Analogue video during the AIDS epidemic, under the supervision of Professor Ute Holl, Medienwissenschaft, Universität Basel. His practice deals with domesticity, reduction, aesthetics of nostalgia, patterns, signifiers and codes. Discourses of semiotics in queer theory, poetry & radical queer politics are present within his art practice, professional academic work and writing.
He has performed and exhibited at: ICA (London); Fri Art (Fribourg) Nuit Blanche (Paris Arts Lab 2019); The Cruising Pavilion (Venice Architecture Biennale 2018); LUX (London); Folkwang (Essen) and Istituto Svizzero, (Rome). And has written for Artforum (usa), Frieze (uk), Mousse (it), Brand New Life (ch), Arcadia Missa (uk), Pilot Press (uk) and Le Temps (ch).
Record Imprint:
Composition/Selection: Ian Wooldridge, Li Tavor
Graphic Design: Sabo Day
Mastering: Marco Pellegrino, analog cut mastering, Berlin
Pressing: Deepgrooves Vinyl Pressing Plant, Amsterdam